Vergleich mit George Floyd „deplatziert“ – Regierungsrat rügt Medien

Eine polizeiliche Anhaltung in der Stadt Bern schlug im Sommer 2021 hohe Wellen. Die Zeitungen „Der Bund“ und „Berner Zeitung“ hatten die Geschehnisse mit der Tötung von George Floyd in den USA verglichen. Sie hatten die Anhaltung damit wider besseres Wissen wesentlich gefährlicher dargestellt, als sie es tatsächlich gewesen ist. Zu diesem Ergebnis kommt der Regierungsrat in einem Bericht an den Grossen Rat.

Der Bericht des Regierungsrates wurde in Umsetzung der vom Grossen Rat überwiesenen Motion „Machtmissbrauch durch Medien-Konzern: Kantonsangestellte schützen“ erstellt. Um ein vollständiges Bild zeichnen zu können, hatte der Regierungsrat eine Stellungnahme der Redaktion von „Der Bund“ und „Berner Zeitung“ eingeholt. Ebenso die Einschätzung eines unabhängigen Experten, um die Berichterstattung über die polizeiliche Anhaltung vor der Heiliggeistkirche in Bern sowohl aus medienrechtlicher wie auch aus medienethischer Optik zu analysieren.



In seinem Bericht kommt der Regierungsrat wie der unabhängige Experte zum Ergebnis, dass die Berichterstattung der beiden Tamedia-Titel „Der Bund“ und „Berner Zeitung“ in weiten Teilen angemessen, in wichtigen Punkten jedoch irreführend und vorverurteilend gewesen ist. Der Bericht wird dem Grossen Rat in der Sommersession 2025 vorgelegt.

Vergleich zum Fall George Floyd deplatziert

Am 11. Juni 2021 wurde vor der Heiliggeistkirche in Bern ein verletzter Mann durch einen Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin der Kantonspolizei angehalten. Die Anhaltung gestaltete sich wegen der erheblichen Gegenwehr des Mannes schwierig. Bei der Fixierung am Boden und dem Anlegen der Handschellen rutschte dem Polizisten das Schienbein unbeabsichtigt für kurze Zeit auf den Hals des Mannes. Mehrere zufällig anwesende Journalistinnen und Journalisten der Tamedia-Zeitungen „Der Bund“ und „Berner Zeitung“ beobachteten die Anhaltung und machten Fotoaufnahmen. In ihrer darauffolgenden Berichterstattung vom 12. Juni 2021 stellte die Zeitung «Der Bund» durch ein Archivzitat eines Rechtsmediziners einen Vergleich zum Fall George Floyd in den USA her. George Floyd war im Mai 2020 durch massive Gewaltanwendung eines Polizisten bei einer Fixierung am Boden ums Leben gekommen. Der zitierte Rechtsmediziner intervenierte gleichentags schriftlich bei der Zeitung, weil sein Zitat im falschen Zusammenhang verwendet worden sei und die Fälle nicht vergleichbar seien.

Klarstellung erfolgte zu spät

In der Folge schalteten „Der Bund“ und „Berner Zeitung“ mehrere mutmasslich persönlichkeitsverletzende Online-Leserkommentare frei. Sie löschten diese erst über zwei Jahre nach dem Vorfall, nachdem im Grossen Rat eine Motion zu der Medienberichterstattung eingereicht worden war. Bis heute sind verletzende und vorverurteilende Online-Kommentare aufgeschaltet. Schweizweit löste der Bericht der Zeitung «Der Bund» vom 12. Juni 2021 zahlreiche irreführende Berichte in anderen Medien über den Fall aus, die jeweils den Bezug zum Fall George Floyd herstellten. Eine Woche nach dem ersten Bericht klärte „Der Bund“ die Leserschaft schliesslich in einer „Analyse“ darüber auf, dass der Berner Fall nicht mit dem Fall George Floyd vergleichbar sei und die Dimensionen zu wahren seien. Die Klarstellung erfolgte damit zu spät. Sie enthielt nichts, das der Redaktion nicht schon eine Woche vorher bekannt war.

Das Regionalgericht Bern-Mittelland sprach den Polizisten am 5. September 2023 von allen strafrechtlichen Anschuldigungen rechtskräftig frei.

Öffentliches Interesse an Berichterstattung unbestritten

Dass medial über den Polizeieinsatz berichtet wurde, ist aus Sicht des Regierungsrats nicht zu beanstanden. Das öffentliche Interesse an der Berichterstattung ist unbestritten. Der Bericht des Regierungsrats erfolgt im Bewusstsein, dass es einzig den zuständigen Gerichten obliegt, über die Rechtmässigkeit einer Berichterstattung zu urteilen. Umso mehr ist zu anerkennen, dass die Redaktion ihr Vorgehen im Zusammenhang mit der Berichterstattung in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Regierungsrat erklärt hat.

Experte: Teils irreführende und vorverurteilende Medienberichterstattung

Der unabhängige Experte für Medienrecht, Rechtsanwalt Manuel Bertschi, kommt in seiner Einschätzung zum Schluss, dass die Berichterstattung von «Der Bund» und «Berner Zeitung» in weiten Teilen angemessen, jedoch in wichtigen Punkten irreführend und vorverurteilend gewesen sei. Die Redaktion der Zeitung „Der Bund“ sei der Wahrheitssuche ungenügend nachgekommen und hätte ihre journalistische Sorgfaltspflicht und damit den Schweizer Journalistenkodex verletzt. Ebenso sei die Redaktion ihrer unverzüglichen Berichtigungspflicht (bis heute) nicht nachgekommen, was ebenfalls eine Verletzung des Journalistenkodex darstelle.

Richtigstellung im öffentlichen Interesse

Der Grosse Rat hat mit der überwiesenen Motion die Richtigstellung dieser Fakten verlangt. Nur mit einer gründlichen Aufarbeitung lässt sich verhindern, dass der vorliegende Fall zu Unrecht weiter medial und politisch im Kontext von angeblicher übertriebener Polizeigewalt und Racial Profiling aufgegriffen wird. Die Richtigstellung schützt auch den betroffenen Polizisten, der zu Unrecht medial in die Nähe eines schweren Gewaltverbrechens gerückt wurde, und sie entspricht der Fürsorgepflicht des Kantons als Arbeitgeber gegenüber seinen Angestellten. Sie liegt zudem im öffentlichen Interesse.

Pressefreiheit bleibt gewahrt

Der Regierungsrat ist sich bewusst, dass Kritik an der Berichterstattung eines Mediums in Form eines Berichts an das Parlament ungewöhnlich ist. Er hält jedoch fest, dass es dem Grossen Rat freisteht, zu welchen Themen er Abklärungen einholen möchte. Die Pressefreiheit und die Zuständigkeit der Justiz bleiben gewahrt. Der Regierungsrat ist gewillt, seinen Beitrag für ein besseres Verständnis zwischen Medien und Behörden zu leisten. Ziel sollte sein, den Dialog zu intensivieren und gegebenenfalls zu institutionalisieren. Angestrebt wird auch, die Polizeiarbeit und ihre Herausforderungen noch besser gegenüber den Medienschaffenden zu erklären.

 

Quelle: Kanton Bern
Bildquelle: Symbolbild © Viktorija Reuta/Shutterstock.com

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